Brennnesseln . Eine kleine Geschichte zum Vorlesen

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Also, Kinder, da  habe ich doch neulich ein  Erlebnis gehabt, von dem ich Euch unbedingt erzählen muss!

So gebt denn fein acht und hört zu, was ich Euch erzählen möchte:

In meinem großen Garten haben mich schon seit langer Zeit die Brennnesseln gestört, die sich in der äußersten Ecke immer weiter ausgebreitet  hatten.

So kam ich eines Tages dazu und wollte mit einem Spaten und einer Sichel diese lästigen Brennnesseln zu entfernen.

Handschuhe hatte ich nicht an, und auch meine Hemdsärmel hatte ich aufgekrempelt.  Und so ging ich ans Werk…

Aber schon beim ersten Schnitt mit der Sichel verbrannte ich mir die Hände und beide Arme ganz, ganz heftig! Ihr kennt es wohl alle, wie weh das tut!

Ich tat zwar sofort Spucke auf die verbrannten Stellen und verrieb sie etwas. Dass das hilft, die Schmerzen zu lindern,  hatte ich schon von meinen Großeltern gelernt.

Als ich noch meine Verbrennungen behandelte, hörte ich plötzlich eine Stimme:

“Was willst Du uns antun?!“

Ich stutzte, fragte dann aber: “Wer spricht denn da?“, denn ich sah niemanden.

Zu meiner Überraschung kam prompt die Antwort:

“Wir, die Brennnesseln, reden mit Dir. Du wolltest uns alle mit der Sichel abschneiden und dann ausgraben, aber wir wollen am Leben bleiben!“

Na, Kinder, das könnt Ihr mir glauben, das war ein Ding! Ich war zuerst ganz ungläubig, wollte aber dann doch wissen, was es mit den sprechenden Brennnesseln auf sich hatte.

So fragte ich nach: „Wieso wollt Ihr denn am Leben bleiben, wenn Ihr nur so unnütz im Garten herumsteht und obendrein immer mehr werdet?“

„Das erzählen wir Dir gern, wenn Du die Sichel und den Spaten weglegst und uns eine Weile lang zuhörst,“ sagten die Brennnesseln.

„Na ja “, ich höre zu “,  antwortete ich….

„Ja, wir Brennnesseln sind eine ganz besondere Pflanze, musst Du wissen. Wir sehen nicht schön aus und haben auch nur ganz kleine, krümelige, grüne Blüten, die nicht einmal duften.  … Und darum mag uns wohl auch keiner von Euch Menschen!

Aber dabei sind wir doch so hilfreich wie nur wenige andere Pflanzen! Und, …wenn wir jemandem auf der Haut brennen, wehren wir uns doch bloß!“

„Stelle Dir doch mal vor “,  sagten die Brennnesseln,  „Wenn der Frühling kommt und die kleinen süßen Kücken der Enten und Hühner geschlüpft sind, sind  klein gehackte frische Blätter von uns das allerbeste Futter für die kleinen Kücken!

Aber auch Tee kann man aus unseren frischen Blättern machen, der besonders älteren und kranken Menschen helfen kann! Denn das hilft den Nieren und der Entwässerung den Körpers…und Salat kann man auch aus unseren frischen Blättern machen !“

Ich machte wohl ein ungläubiges Gesicht…„Das glaubst Du nicht?  Ach, wie dumm Du noch bist, denn wir können noch viel mehr!

Hast Du schon einmal Blattläuse oder Schildläuse an den Pflanzen in Deinem  Garten oder im Blumentopf  in der Stube  gehabt?

Um die los zu werden, brauchst Du nur die Blätter und Stengel von uns zwei Tage lang im Wasser liegen lassen und dann die Pflanzen mit dem Wasser begießen.

Und, ob Du es glaubst oder nicht, unser Nesselgift, das Dich vorhin noch so verbrannte, nehmen die Pflanzen mit dem Gießwasser auf  – und – schwups, in den nächsten Tagen sind alle Läuse abgestorben und können Deinen Pflanzen nicht mehr schaden!“

„Ja“, sagte ich, “ Dann muss ich ja gar nicht mehr das schreckliche Gift anwenden, das ich  in einem Pflanzenmarkt für viel Geld gekauft habe, und das auch für mich und die  Tiere gefährlich sein könnte…“

„Richtig, denn das gefährliche Gift müsstest Du ja auf die Blattläuse spritzen und könntest  dabei auch Bienen, Raupen und Schmetterlinge treffen, und das wäre doch zu schade“,  meinten die Brennnesseln.

Als Deine Eltern und Großeltern noch in einer Zeit lebten, in der große Not herrschte, und es darum keine angenehm weichen Kleider und Wäsche aus Baumwolle mehr gab, nahm man unsere Fasern aus den Stengeln und webte daraus Tücher für Bettwäsche und Kleidung. Aber die Fasern waren leider sehr rau und kratzten auf der Haut.— Doch – besser konnten wir in der Notzeit nicht helfen.

 

„Ich danke Euch sehr für all diese guten Ratschläge! Aber könnt Ihr denn etwa noch mehr Gutes tun?“

„Ja doch, wir zeigen Dir an, ob der Garten gut gedüngt ist, denn sonst würden wir hier nicht wachsen. Das bedeutet aber auch, dass da, wo wir nicht wachsen wollen , mal nachgeschaut werden müsste, ob denn genug Dünger  in der Erde ist!

Und sogar das Düngen kannst Du mit unserer Hilfe erledigen: Du brauchst nur etliche Stängel und Blätter von uns in Wasser tauchen und einige Tage länger darin liegen lassen.

Zugegeben, das Wasser ist dann eine Brühe, die so wie Jauche stinkt, aber sie ist ein ganz toller Dünger, viel besser sogar als Kunstdünger aus dem Supermarkt. Und sie kostet nichts, und unsere gekürzten Stängel wachsen ja wieder nach!

Weil Du doch fragtest, was wir noch können, geben wir Dir noch einige Tipps“, meinten die Brennnesseln, die mich wohl für ziemlich dumm hielten.

„Es gibt viele Lebewesen, die nur von uns leben, weil wir für sie die einzige Nahrung sind. Sie fressen zwar unsere Blätter, aber sie vernichten uns nicht!

Wir meinen all die Raupen, aus denen im Sommer so schöne  Schmetterlinge werden!

Vielleicht meinst Du ja auch, dass Raupen nicht schön aussehen. Aber schaue sie Dir doch bitte mal genauer an:

Sie sind schwarz, andere sind braun oder braun- gelb, und sie haben überall am Körper so etwas wie Stacheln. Doch die Stacheln sind weich und ungefährlich.  Sie schrecken nur die Vögel ab, welche die Raupen sonst gern fressen würden.

Also: Es gibt Raupen, die fressen nur Brennnessel-Blätter, sonst nichts! Wenn solche Raupen keine Brennnessel-Blätter fänden, müssten sie sterben!

Aber  wenn eine Raupe erst einmal groß ist, wird aus ihr eine ganz anderes Wesen: Eine Puppe, die ganz still an einem Stengel hängt. Und aus der schlüpft bald ein Schmetterlig  — ach, was sagen wir – ein besonders schöner Schmetterling.

Kennst Du denn solche Schmetterlinge wie „Tagpfauenauge“, „Kleiner Fuchs“, „Distelfalter“, „Admiral“, „C-Falter“ und „Landkärtchen“ ?

Nein, die kennst Du noch nicht?  Das ist ja komisch; früher kannten die meisten Kinder all diese Schmetterlinge und haben sich darüber gefreut, wenn sie sie im Frühling, im Sommer und im Herbst sahen!“

Ich antwortete: “ Ja, all die Schmetterlinge kenne ich, denn mein Bruder und ich haben, als wir noch Kinder waren, von unserem Großvater einen Kasten gebaut bekommen, in dem wir die Schmetterlingsraupen aufzogen und fütterten. Wir mussten dann aber auch jeden Tag für neues Futter von Euch Brennnesseln besorgen und den Kasten innen immer schön sauber halten…Doch  zum Schluss schlüpften aus den Puppen die wunderschönen Schmetterlinge. Nachdem wir alles beobachtet und bestaunt hatten, ließen wir die Schmetterlinge in die Freiheit fliegen.

Jetzt aber danke ich Euch Brennnesseln für alle  Eure guten Taten, und ich habe von Euch wirklich viel dazugelernt. Das werde ich mir merken!“

„Prima.“, sagten die Brennnesseln,  „dass Du etwas lernen wolltest,

aber sage es auch bitte den Kindern und Ihren Eltern, damit sie wenigstens ein kleines Stück von uns in ihren Gärten stehen lassen!“

 

Uwe Bohm